Tag 6 (25.10.17): Die eigenen Stärken und Schwächen erkennen

Nach dem gestrigen Abend sind heute morgen alle ein wenig müde. Trotzdem bemerke ich sehr bald, wie sich etwas verändert hat. Das Team aus Afghanistan ist stolz, die Aufgabe von gestern Abend so gut gelöst zu haben. Heute werden wir darüber reden, was wir in unseren Spitälern alles gut machen und was wir verbessern könnten. Das Team aus Afghanistan ist sich einig: „Wir sind ein gutes Team aber die Kommunikation mit andern Teams im Krankenhaus und unter uns könnte besser sein“. Na, das kenne ich doch irgendwoher?

 

Selbstverständlich sind auch wir aus Zürich aufgefordert zu sagen, was wir bei uns gut finden und was verbesserungswürdig wäre. Unter dem Eindruck der letzten Tage ist mein Statement klar: Wir haben so viele Ressourcen, sind aber nicht immer in der Lage, diese wirklich effizient zum Nutzen des Patienten einzusetzen – die Afghanen schmunzeln.

 

Deeba, Tsamilia und Masouda  sind sichtlich überrascht, aber auch belustigt über unsere Probleme in Zürich

 

Dann kommt die Diskussion so richtig in Fahrt und im Nu erfahren wir viel mehr gegenseitig über uns als in den letzten ganzen zwei Tagen. Als sich alle die Köpfe heiss geredet haben und die Auflistung, warum man gewisse Umstände nicht ändern kann, überhand nimmt, steht Shobha Charmania auf und erklärt in ihrer ruhigen Art: „Zuerst müssen wir immer prüfen, ob wir nicht bei uns selbst etwas ändern können“ – und siehe da – sie zitiert einen Schweizer, nämlich Roger Federer. Dieser hat in einem Interview auf die Frage, warum er immer noch so erfolgreich ist, obschon seine Gegner immer jünger und besser werden, geantwortet, dass es ihm mit der Zeit immer weniger genützt habe, sich Gedanken über seine Gegner zu machen – erst als er sich auf sich selbst und sein Alter besonnen habe und darauf, wie er seine noch bestehenden Stärken am besten einsetzen könnte, sei er wieder erfolgreicher geworden. Dann fügte er noch hinzu, was er vor allem lernen musste, um weiter erfolgreich zu sein, war zu verlieren.

 

Nach dem Mittagessen geht es weiter. Wir sprechen über den Einsatz von Antibiotika und die drohende weltweite Resistenzentwicklung (in Zürich muss es Christoph Berger und Christa Relly andauern in den Ohren geklingelt haben…). Dadurch dass das Gesprochene immer wieder vom Englischen ins Afghanische – oder umgekehrt – übersetzt werden muss, verlaufen die Diskussionen wie in einem „Slow-Motion Film“. Zu Beginn mussten wir uns alle zunächst daran gewöhnen, jetzt spürt man aber auch den Vorteil, denn in einer mit Informationen überfluteten Welt, tut jede Entschleunigung gut – gerade dann, wenn zwei so unterschiedliche Welten aufeinandertreffen.

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