Woche 2: Eine Präsentation nach der anderen

Nach den vielen positiven Feedbacks auf meinen ersten Blogeintrag – übrigens ein grosses Dankeschön an alle – setze ich diesen Blog gerne fort. Es scheint doch manche zu interessieren, was ich da in London so mache.

 

Was für ein Glück, dass es auch für mich selbst so spannend ist. Gleich am Dienstag durfte ich Henrietta Spalding, Leiterin der Abteilung für die Interessenvertretung von Changing Faces, zu einer ihrer Präsentationen begleiten. Als ihre persönliche Assistentin – so hat sie mich jeweils vorgestellt, während sie auch noch gerne aus der Schweiz und international erwähnte, was jeweils viel Gesprächsstoff und Touristentipps zur Folge hatte ;-) – durfte ich sie sogar in den Backstage-Bereich begleiten. Es ist schon toll, wenn man dann gleich mit Tee, Kaffee und Croissants bedient wird. Seit über 10 Jahren ist Henrietta Spalding bei Changing Faces aktiv. Ihrer vielseitigen Arbeit ist es zu verdanken, dass die Organisation mittlerweile in ganz Grossbritannien so bekannt ist. Ich war von ihrer Präsentation richtig beeindruckt und konnte viel Neues über die Arbeit von Changing Faces und vor allem auch über die psychologischen Auswirkungen von Auffälligkeiten im Erscheinungsbild – das Thema ihrer Präsentation – lernen.

 

Wie schon im ersten Blogeintrag erwähnt, unterstützt Changing Faces Menschen mit einer Auffälligkeit im Erscheinungsbild. Dabei legen sie grossen Wert darauf, dass man den Ausdruck «disfigurement» vorsichtig verwendet. Auf ihrer Website findet man eine ganze Seite mit Tipps zur Anwedung dieses Ausdrucks. So plädieret Changing Faces beispielsweise dafür, dass man «disfigurement» nur als Nomen im Zusammenhang mit der Person verwendet und nicht als Adjektiv. «A person who has a disfigurement» ist also erlaubt (obschon dies bereits kontrovers diskutiert wird); eine Person soll aber auf keinen Fall als «disfigured» beschrieben werden. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, versuche auch ich immer einen neutralen Ausdruck zu verwenden, um niemanden zu kränken – was leider gar nicht so einfach ist.

 

Henrietta Spalding sprach auch über den Einfluss des sozialen Kontexts auf die Wahrnehmung von Auffälligkeiten im Erscheinungsbild. In Mythen und Legenden werden körperliche Auffälligkeiten meist mit einem Bösewicht gekoppelt, was dann unsere Wahrnehmung beeinflusst. Vor allem für Kinder ist es oftmals schwierig, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden; deshalb ist es wichtig, Kinder aufzuklären, dass eine Auffälligkeit im Erscheinungsbild nichts mit dem Charakter der Person zu tun hat.

 

Changing Faces unterstützt Menschen, die mit ihrem körperlichen Erscheinungsbild Mühe haben. Ihr Ziel ist es, Betroffenen hilfreiche Bewältigungsstrategien zu vermittlen, beispielsweise Strategien im Umgang mit neugierigen Blicken oder Fragen. Eine simple Strategie, die mir gut gefällt ist, die „3-2-1-Go“-Strategie: Stelle dir vor, du befindest dich in einer unangehmenen sozialen Situation, dort gibt es:

  • 3 Sachen, die du tun könntest: z.B. die andere Person ansprechen, das Verhalten der anderen Person ignorieren oder die Situation verlassen
  • 2 Sachen, die du sagen könntest: z.B. die andere Person über ihr unhöfliches Verhalten aufmerksam machen oder fragen, weshalb sie dich so anstarrt
  • 1 Sache, die du denken könntest: z.B. dass die andere Person es wahrscheinlich nicht böse meint, sondern einfach mit der Situation überfordert ist und nicht weiss, wie sie sich statt dessen verhalten könnte

Wie ihr seht, war für mich diese Präsentation unglaublich spannend. Ich war fasziniert von Henrietta Spalding und ihrer Art und Weise, wie sie über diese Dinge berichtet – eine aufgestellte Frau, von der ich viel lernen kann.

 

Diese Woche war geprägt von Präsentationen – am Mittwoch hatten wir nämlich Besuch von Frau Dr. Bogart aus Amerika. Sie berichtete von ihrer Forschung über Menschen, die aufgrund einer Funktionsstörung eines bestimmten Hirnnervs eine Gesichtslähmung (Facial Palsy) aufweisen. Laut Dr. Bogart weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass Menschen mit einer Gesichtslähmung von anderen auf den ersten Blick oft als unfreundlich oder depressiv wahrgenommen werden. Das Problem ist, dass es diesen Menschen aufgrund der Lähmung der Gesichtsmuskulatur in der Kommunikation mit anderen keine Mimik einsetzen können. Umso wichtiger werden also andere Signale, wie beispielsweise die Körpersprache oder die Stimme.

 

Am Donnerstag fand schliesslich ein «Study-Day» statt. Changing Faces organisiert ca. dreimal pro Jahr solche Lerntage, an denen unter anderem Mitglieder anderer Organisationen sowie Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen teilnehmen. Das Ziel des Workshops ist es, dass die Teilnehmer über die psychosozialen Herausforderungen, welche ein verändertes Aussehen mit sich bringen kann, informiert werden und lernen, wie sie Betroffene unterstützen können. Am Nachmittag hielt eine sogenannte „Media Champion“ – eine Betroffene, die als Fürsprecherin für Changing Faces vor die Medien tritt – eine Präsentation über ihr Leben mit Vitiligo, was auch sehr spannend war.

 

So, nun aber genug erzählt für diese Woche! Wie ihr merkt, freue ich mich – nebst all den Büroarbeiten, die hier zu erledigen sind – jeweils sehr über solch spannende Präsentationen, aus denen ich sehr viel mitnehmen kann. In dieser Woche konnte ich wirklich viel lernen und ich hoffe, dass mich in den nächsten Wochen noch viel mehr erwartet.

  1. Erich Rohrbach sagt:

    Liebe Isabel
    Ich finde deinen Bericht ganz toll! Der Erfahrungsbericht berührt mich inhaltlich und ich bin beeindruckt über die gemachten Erfahrungen. Die „3-2-1-Go“-Strategie finde ich für Betroffene eine gute mögliche Strategie und deckt sich mit meinen Erfahrungen der Bewältigungsstrategien. Ich beschreibe die drei Möglichkeiten als „Flucht, Angriff und Erstarrung“. Interessant wäre beispielsweise nach den Berner Bewältigungsstrategien nach Heim (in: Psychother. med. Psychol. 38 (1988) S. 10, f.) herauszufinden, welche Strategien sich besonders eignen (Es gibt eine alte Studie über Frauen mit Brustkrebs die unterschieden hat in sogenannte „good und bad copers“, (habe diese gerade nicht zur Hand). Ich werde Dir mein Skript über „Selbststabilisierung in herausfordernden Situationen, persönliches Methodenrepertoire“ zukommen lassen. Vielleicht gibt diese Grundlage Denkanregungen und müsste natürlich adaptiert werden.
    Lass Dich weiterhin berühren von den Menschen die du triffst und lass uns teilhaben an deinen Erfahrungen.
    Liebe Grüsse aus der Schweiz.

    • Isabel sagt:

      Lieber Erich
      Vielen Dank, für deinen wertvollen Beitrag und deine Anregungen!
      Ich habe bei dieser 3-2-1-Go Strategie auch gleich an die Berner Bewältigungsformen nach Heim gedacht, da ich diese ja auch bei meiner Maturaarbeit verwendet habe. Für die, die es interessiert: Heim unterscheidet Bewältigungsstrategien in Handlungsbezogen, Kognitionsbezogen und Emotionsbezogen. Im Zusammenhang meiner Maturaarbeit habe ich Menschen mit einer Hautauffälligkeit interviewt, um Strategien in ihrem Umgang damit ausfindig zu machen. Diese habe ich dann in die Kategorien Heims eingegliedert und in eine Art dieser „good and bad copers“, abhängig von ihren lang- oder kurzzeitigen Konsequenzen, eingeteilt.
      Danke für dein Skript, es ist ein sehr vielfältiges Repertoire, dass sicherlich für jeden passende Strategien bereithält. Auch diese sind bereits wieder in drei Kategoiren unterteilt und könnten auch, wie du sagst, für viele andere Bereiche angepasst werden.
      Liebe Grüsse zurück aus London!

  2. Iris Zikos sagt:

    Liebe Isabel,
    Ich freue mich über deinen Mut und dein Engagement! Du bist wirklich eine tolle starke Frau!
    Freue mich auf die Fortsetzung! Lieber Gruss aus Zürich!

  3. Manuela Riedo sagt:

    Danke Isabel, bin gespannt auf den nächsten Bericht.
    Liebe Grüsse nach London.

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