Lukas Eltern

„Ich fühlte mich wie eine Marionette.“ – Die Eltern von Lukas erzählen, wie sie den Verbrennungsunfall ihres Sohnes erlebt haben.

 

Etwa zwanzig Minuten nach dem Unfall kam das Telefon. „Lukas hat sich verbrannt.“ Lukas’ Mutter war wütend. Was war mit ihrem Sohn? Ihr Schwager fuhr sie direkt ins Spital. „Ich hätte mich in diesem Zustand nicht selber hinters Steuer setzen können.“

Lukas lag auf einer Trage. Um ihn herum Ärzte in grünen Kitteln. Frau I. schaute ihren Sohn an. Er hatte keine Augenbrauen. „Im ersten Augenblick wollte ich wieder gehen. Luft holen. Aber Lukas sah mich und rief ‚Mami’.“ Sie ging zu ihm hin. Ab diesem Zeitpunkt funktionierte sie einfach. Fühlte sich wie eine Marionette, war für Lukas da und beantwortete Fragen. Ein Arzt informierte sie, dass Lukas ausser Lebensgefahr sei. „Ich fragte mich nur, was der da redet. Es war mir nicht bewusst, wie schlimm es war. Ich konnte alles nicht einordnen.“

Während den fünfeinhalb Wochen im Spital war Frau I. tagsüber immer bei Lukas. Sie sah seine traurigen Blicke, die fragten ‚Was ist passiert, Mami?’. „Es tat weh, ihn da liegen zu sehen mit dem Kopfverband. Ich wünschte, ich hätte diese Schmerzen für ihn übernehmen können“, sagt Frau I. Am Abend kamen jeweils auch Lukas’ Vater und sein älterer Bruder Samuel zu Besuch. „Der Grossmutter habe ich verboten, Lukas zu besuchen. Ich wusste, sie würde bei seinem Anblick in Tränen ausbrechen. Das wollte ich nicht.  Niemand sollte vor Lukas weinen. Wir mussten für ihn da sein und ihm Kraft und Geborgenheit geben. Der ganze Unfall war schlimm genug.“

Über Nacht blieb Lukas alleine im Spital. Seine Mutter musste abschalten. Luft holen. „Ich wusste, dass Lukas beim Pflegepersonal in guten Händen war. Und das Handy lag für Notfälle neben dem Bett.“ Ausserdem war da noch Samuel, Lukas’ älterer Bruder, der beim Unfall am Geburtstagsfest mit dabei war. „Tagsüber nach der Schule kümmerte sich mein Mann um Samuel. Abends und am morgen vor der Schule nahm ich mir Zeit für ihn und seine Fragen. So war auch er nie alleine.“

Nach dem Spital gewöhnte sich die Familie schnell an Lukas’ neues Aussehen und daran, dass er die Kompressionsmaske tragen musste. Für die Mutter war es bereits normal und sie wollte, dass das Leben so weiterging wie vor dem Unfall. Sie verstand am Anfang nicht, weshalb ihr Sohn im Auto warten wollte, während sie einkaufen ging. Nur widerwillig ging Lukas mit ihr in den Laden. Erst als seine Mutter sah, wie eine Frau auf Zehenspitzen zwischen den Regalen hindurch ihren Sohn anstarrte, realisierte sie, was Sache war. Frau I. versuchte, ruhig zu bleiben. Gut, kam kurz darauf ein Mann, der Lukas fragte, ob er sich verbrannt habe. Der Kleine strahlte und sagte „Ja“. Er schien erleichtert, dass ihn endlich jemand direkt fragte und sogar wusste, was ihm passiert war.

Im Kindergarten waren Lukas’ Verbrennungen kein Problem. Viele Kinder kannten ihn bereits vor dem Unfall und wussten, was passiert war. Trotzdem fragte die Kindergärtnerin Lukas’ Mutter, ob sie  die anderen Eltern am Elternabend nicht über Lukas’ Unfall informieren wolle. Sie wollte so erreichen, dass die anderen Eltern die Fragen ihrer Kinder von Anfang an richtig beantworten. „Das war gut so.“

Heute blicken Lukas’ Eltern stolz auf die Entwicklung ihres Sohnes zurück. Sie sind überzeugt, dass ihm in der schweren Zeit das Karate eine grosse Stütze war und ihm geholfen hat, sein Selbstvertrauen neu aufzubauen. „Wenn ein Kind, wie Lukas beispielsweise, ein ästhetisches oder anderes Handicap hat und dann etwas findet – egal was – in dem es besser ist als andere, ist das ein riesiger Gewinn und sehr wertvoll“, so sein Vater.

(Text: Noemi Landolt, 2014; Fotos: Valérie Jaquet)

 

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