Isabel

„Die Leute sollen mich so nehmen, wie ich bin.“Isabel (17 Jahre alt) erlitt bei einem Grill-Unfall schwere Brandverletzungen. Sie erzählt, wie sie mit dem neuen Aussehen umgeht.

 

Erwartungsvoll stehen Isabel und ihre Freunde um den Grill. Es ist ein lauer Sommerabend. Doch die Kohle will und will nicht glühen. Ein Kollege hat die Idee: Er kippt Petrol ins Feuer. Explosionsartig schiessen Flammen in die Höhe. Isabel wird erwischt. Sie brennt.

 

Das war vor gut zwei Jahren. Rückblickend weiss die 17-Jährige nicht mehr, wie sie das damals alles geschafft hat. Man schnitt ihr im Spital als erstes die langen Haare ab, sie musste nach den Operationen auch im Gesicht Verbände tragen und hatte plötzlich Wunden und Narben, wo vorher glatte, unversehrte Haut war. „Ich schaute mich damals nicht gern im Spiegel oder auf Fotos an und war mit meinem Aussehen unzufrieden.“ Unterdessen hat sich dieses Gefühl gelegt. Die Heilung der Narben geht voran, und sie sind bereits blasser. „Diese Fortschritte zu sehen, gibt mir neue Hoffnung“, sagt die 17-Jährige und ihre stahlblauen Augen funkeln. Die quälende Frage nach dem ‚Warum gerade ich?’, die sie anfangs oft beschäftigte, versuchte sie zu vergessen. „Wenn man sich das immer fragt, geht man daran kaputt.“ Den Unfall möglichst rasch zu verarbeiten, war immer Isabels Ziel. Sonst fehlt die Kraft für alles, was noch kommt.

 

Besonders die Reaktionen im Alltag waren für die junge Frau gewöhnungsbedürftig. Plötzlich fiel sie auf, wurde angestarrt. Obwohl es die Leute bestimmt nicht böse meinen, beschreibt Isabel dieses Gefühl als unangenehm. Sie möchte auch kein Mitleid, sondern am liebsten ganz normal behandelt oder dann direkt auf ihre Narben angesprochen werden. „Jesses Gott, was ist denn passiert?“, wurde sie einmal von einer alten Frau gefragt. In diesem Moment wäre sie am liebsten direkt nach Hause gerannt.

 

IsabelIsabel geht offen mit ihren Narben um. Im Alltag deckt sie diese selten ab. Nur bei besonderen Gelegenheiten überschminkt sie die Narben mit Camouflage-Technik ganz. „Auf den Fotos sieht man dann praktisch nichts mehr. Das ist schön für die Erinnerung.“ Ansonsten hatte Isabel ihre eigene Taktik: Sie besitzt eine ganze Sammlung von Halstüchern. Mit diesen verdeckte sie im Winter und im Sommer ihre Narben am Dekolleté. Seit sie nun ans Gymnasium geht, trägt sie allerdings keine Halstücher mehr. „So lernte mich die neue Klasse kennen, wie ich bin.“ Bereuen tut sie den Schritt nicht. Es hat gut geklappt. Die Klassenkameraden akzeptieren sie, wie sie ist. Einige fragen, einige nicht. Aber angestarrt oder ausgegrenzt wird sie nicht. „Die Halstücher kann ich vielleicht einmal jemand anderem geben, der sie  auch brauchen kann.“

 

Der Unfall hat Isabel verändert. Sie empfindet heute stärkeres Mitgefühl gegenüber anderen Personen, die Ähnliches erlebt haben. Auch Vorurteile hat sie abgelegt. Wenn ihre Kolleginnen beispielsweise über das Aussehen eines Jungen kichern, schaut sie lieber die Person hinter der Fassade an. Mit Menschen möchte sie auch nach dem Gymnasium arbeiten. Ihr Berufswunsch ist Pflegefachfrau. „Vielleicht ist es ein Vorteil, wenn man aus eigener Erfahrung weiss, wie es ist, wenn einem eine andere Person die Zähne putzt.“

(Text: Noemi Landolt, 2013)  

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