Corina

Mit oder ohne Haare, ich kann gut mit beidem leben“ – Ein Interview mit Corina über ihre Alopezie

Bei Ihnen wurde vor 5 Jahren eine Alopecia areata universalis festgestellt – wie haben Sie den Anfang dieser Krankheit und dann die Diagnose erlebt?

Am Anfang wusste ich noch nicht, dass es sich um eine Alopezie handelte. Ich kämpfte um jedes Haar und wollte alle möglichen Therapien ausschöpfen. Erst, als alle Haare ausgefallen waren und ich erkannte, dass es keine Therapie gibt, die einen langfristigen Erfolg bringt, war ich bereit, zu akzeptieren, was Sache ist. Dabei stellte ich mir nie die Frage ‚wieso ich?‘, denn ich war überzeugt, dass alles seinen Sinn hat. Und diesen Sinn sehe ich heute ganz klar, auf persönlicher, sowie auch auf gesellschaftlicher Ebene. Nachdem die Diagnose gestellt wurde, brauchte es einige Zeit,  bis ich mich aus dem Zahnrad der Medizin befreien konnte und lernte, mich so zu akzeptieren, wie ich bin.

Welche Therapien haben Sie ausprobiert und mit welchen Ergebnissen?


Ich versuchte diverse Therapien, unter anderem Zink-Substitutionen, lokale Cortison-Injektionen, Cortisontabletten, Cortisoncrèmes, Regain-Lösung, Metothrexat-Spritzen und eine Reiztherapie mit Diphenyl­cyclopropenon (DCP). 
Mit dem Cortison hatte ich vorübergehend wieder Haarwuchs, die Neben­wirkungen waren jedoch mit der Zeit schlimmer als der Haarausfall selbst. Mit dem Methotrexat kam es zu erhöhten Leberwerten und die DCP-Therapie verursachte Brandblasen auf der Haut. Alles in allem gab es in meinem Fall, auch mit Berücksichtigung diverser alternativer Mittel, nichts, was einen langfristigen Erfolg brachte.

Was waren die schwierigsten Momente, die Sie erlebt haben?

Der schwierigste Moment war für mich der Moment, indem ich mich entscheiden musste: entweder ich verkrieche mich oder ich gehe hinaus in die Welt und lasse den Haarausfall nicht mein Leben dominieren. Zuerst ging ich mit Kopftüchern aus dem Haus, danach trug ich Perücken, dann wieder Kopftücher und dann begann ich ganz ohne Kopfbedeckung aus dem Haus zu gehen. Diese visuellen Veränderungen musste ich immer wieder neu in mein Körperbild integrieren; dies brauchte jeweils seine Zeit.

Wie reagieren andere Leute auf den Haarausfall?

Ganz verschieden. In der Öffentlichkeit reichen die Reaktionen von heimlichen Blicken bis hin zu offenem Ansprechen. Ich habe nichts gegen die verschiedenen Reaktionen, doch wenn es jemand mit dem Anstarren zu bunt treibt, dann starre ich einfach zurück, bis die andere Person nachgibt. In der Schweiz werde ich oft als Chemo-Patientin verwechselt. Im Ausland – zum Beispiel in ost-asiatischen oder in afrikanischen Ländern – habe ich hingegen erlebt, dass ich nicht als ‚krank‘ wahrgenommen wurde, sondern einfach als ‚anders‘. In Asien wurde ich vor allem von Mönchen mit tiefem Respekt begegnet. Die natürlichsten Reaktionen kommen von Kindern: Mein 5-jähriger Neffe fragte neulich beispielsweise, wieso ich auf einem Foto meine Glatze angezogen habe.

Können Sie auch von positiven Erlebnissen berichten?


Ja, auf jeden Fall. Wenn man ‚anders aussieht‘ muss man sich täglich persönlichen Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft stellen.
 Durch mein Erscheinungsbild kam es immer wieder zu interessanten Diskussionen und Bekanntschaften und ich lernte, dass ein äusserliches Bild, sehr stark von inneren Werten geprägt wird. Durch die Alopezie veränderte sich meine innere Einstellung und mein Körperbewusstsein und ich fühle mich heute gestärkt.

Die Alopezie ist heute ein Teil von mir, ohne sie wäre ich nicht mehr mich, wie ich heute bin. Weiter noch, die Alopezie gibt mir das wunderbare Werkzeug, oberflächliche Menschen von Menschen zu unterscheiden, die mit ihrem Herzen sehen können. Und ich freue mich jeden Tag, die Botschaft in meine Umgebung zu senden, dass es nicht wichtig ist, ‚normal‘ zu sein, sondern, dass es wichtig ist, sich selbst zu akzeptieren und wertzuschätzen, damit man andere akzeptieren kann.

Wo haben Sie Unterstützung gefunden ?

Unterstützung habe ich vor allem durch meine Freunde und meine Familie erfahren.  Sie haben mich gut getragen und mir immer wieder Mut zugesprochen. Ich habe zudem auch einen Partner, der mich von Anfang an ohne Haare unterstützt hat und in mir den Mut stärkte, mich so zu zeigen wie ich mich wohl fühle.

Seit einigen Jahren gibt es in der Schweiz auch eine Selbsthilfegruppe. Deren Webseite (www.alopecia.ch) bietet Informationen für Betroffene und Angehörige.

Wie gehen Sie jetzt, nach 5 Jahren, mit Ihrer Alopezie um?

Die Alopezie gehört zu mir, wie meine Zähne. Man weiss nie, wie lange sie einem bleiben.
 Es kann sein, dass ich eines Tages wieder Haare habe, es kann sein, dass ich haarlos bleibe. Wie auch immer, ich habe gelernt, mich so zu akzpetieren, wie ich bin – mit oder ohne Haare, ich kann mit beidem gut leben.

Was raten Sie Menschen mit einer Alopezie?

Als Mensch ‚ohne Haare‘ ist man gezwungenermassen immer ein ‚Blickfang‘ und es braucht Mut und Energie, sich täglich dieser Tatsache zu stellen. Ich empfehle jedem, auf sein inneres Gefühl zu hören. Fühlt sich jemand wohl, eine Perücke zu tragen oder lieber ohne Kopfbedeckung aus dem Haus zu gehen – es gibt kein Richtig oder Falsch – entscheidend ist, wie man sich wohl fühlt. Mein persönlicher Tipp: Gehen Sie hinaus in die Welt – das Leben ist zu kurz, um sich wegen einer fehlenden Dekoration auf dem Kopf wertvolle Lebenszeit zu nehmen!

 

Der vorliegende Text basiert auf einem Interview,
welches in der Zeitschrift „Praxis Arena (2/2014)“ publiziert wurde.

Hier finden Sie – mit dem freundlichen Einverständnis der Autorin, Frau Birnbaum – das Original-Interview

Fotos: Gabriela Acklin

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